Melanie Baschin: Von der sozialdemokratischen Krise zur konservativen Katharsis? Die Entwicklung der schwedischen Europapolitik unter der bürgerlichen Koalition nach dem Regierungswechsel 2006

Beschreibung des Dissertationsprojektes

Der Machtverlust der schwedischen Sozialdemokraten nach den Parlamentswahlen 2006 hat erstmals seit Schwedens EU-Mitgliedschaft den Weg für eine dauerhafte Regierungspolitik der bürgerlich-konservativen Allians för Sverige geebnet, die als pro-europäische Koalition ein klarer Opponent zu den europaskeptischen Vorgängerregierungen unter Ingvar Carlsson und Göran Persson (Socialdemokraterna, SAP) ist, die die EU-Politik des nordischen Kleinstaates vom Beitritt Schwedens in die Europäische Union 1995 bis zur Parlamentswahl 2006 prägten und den in den 1970er Jahren entstandenen Ruf Schwedens als reluctant european[1] eher festigten denn lösten. Blickt man auf die historischen Anfänge des politischen Projekts Europa bzw. Europäische Gemeinschaften/Europäische Union (EG/EU) im 20. Jahrhundert und noch weiter zurück, so lässt sich feststellen, dass Schweden als nordeuropäischer Kleinstaat in peripherer Lage mit seinem Vorreitermodell eines sozialen Wohlfahrtsstaates, seinem politisch kalkulierten Neutralitätspostulat und seiner allianzfreien Außen- und Sicherheitspolitik in den Nachkriegsjahrzehnten eine europakritische Sonderrolle einnahm, die durch die lange Tradition einer von Tage Erlander und Olof Palme geprägten sozialdemokratischen Regierungspolitik[2] forciertwurde.

In der Forschung wird die Europapolitik unter der SAP rückblickend als „passiv-abwartend und im Entscheidungsfall pragmatisch“[3] bewertet. Als Reaktion auf die schleppende EU-Integrationspolitik der von ihm abgelösten sozialdemokratischen Regierung verkündete der seit 2006 amtierende Ministerpräsident Fredrik Reinfeldt, dessen Partei Nya Moderaterna sich „am deutlichsten für die europäische Integration [ausspricht]“[4], eine „Neuausrichtung“[5] der schwedischen EU-Politik.

Die gegensätzlichen EU-Programmatiken innerhalb der schwedischen Parteienlandschaft lassen darauf schließen, dass sich durch den Regierungswechsel die Ausrichtung der schwedischen EU-Politik geändert hat, da sich die integrationspolitischen Präferenzen der Sozialdemokraten von den Präferenzen der pro-europäischen bürgerlichen Regierung substantiell unterscheiden. Insofern kann von der Mitte-Rechts-Regierung im Vergleich zur SAP-Regierung eine fortschrittlichere und integrationsfreundlichere Europapolitik erwartet werden und damit gewissermaßen eine Entspannung der eingefahrenen Integrationsskepsis wie auch eine aktivere Einbindung Schwedens in die EU durch mehr Engagement auf europäischer Ebene. Das Dissertationsprojekt greift diese Erwartungen auf und untersucht, ob und inwiefern der Wechsel von der sozialdemokratischen zur bürgerlichen Regierung in Schweden einen Wandel in der schwedischen Europapolitik als auch in den schwedisch-europäischen Beziehungen bewirkt hat. Analysiert werden soll außerdem, welche Entwicklungen der EU die „Allianz für Schweden“ in ihrer Europapolitik anstrebt und wie diese sich von der vorigen sozialdemokratischen Europapolitik unterscheiden. Hierzu muss der historische Kontext berücksichtigt werden, der aus einem weitergefassten Rahmen die Annäherung der schwedischen Politik an die EG/EU verdeutlicht. Zudem bietet eine Analyse der bürgerlichen Europapolitik die Möglichkeit, den unter den sozialdemokratischen Vorgängerregierungen begründeten Ruf Schwedens als „widerwilliger Europäer“ bzw. „reluctant Federalist“[6] neu zu bewerten.

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[1]: Miljan, Toivo: The Reluctant Europeans. The Attitudes of the Nordic Countries towards European Integration. London 1977. Vgl. auch Gstöhl, Sieglinde: Reluctant Europeans. Norway, Sweden, and Switzerland in the Process of Integration. London 2002.

[2]: Diese Faktoren markieren im Unterschied zu den übrigen nordeuropäischen Ländern Island, Dänemark, Norwegen und Finnland den spezifisch schwedischen „Sonderweg nach Europa“, vgl. Schymik, Carsten: „Nordische Sonderwege nach Europa“. In: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 47 (2004), S. 10–15, hier S. 15.

[3]: Vgl. Gebhard, Carmen: Neutralität und Europäische Integration. Österreich und Schweden im sicherheitspolitischen Vergleich, Wien 2005, S. 97. Siehe: www.bmlv.gv.at/wissen-forschung/publikationen/publikation.php (Abruf vom 19.07.2012).

[4]: Vgl. Gebhard 2005, S. 99.

[5]: Schieder, Andreas: Demokratie und Legitimation in der EU. Die Europawahl 2009 in Schweden. Die schwedischen Parteien und das Demokratiedefizit der EU. europa09.eu – Webdossier des CAP zur Europawahl 2009, München 2009. Siehe: www.cap-lmu.de/themen/europawahl/download/europa09-Schieder-Legitimation-Schweden.pdf (Abruf vom 14.04.2012). Siehe auch Reinfeldts Regierungserklärung vom 06. Oktober 2006. Siehe: www.regeringen.se/sb/d/6316/a/71551.(Abruf vom 15.04.2012).

[6]: Steinbrenner, Kathrin: Schwedens erste EU-Ratspräsidentschaft: Kam Europa nach Schweden? Berlin 2007, S. 202.