Aktuelle Forschungsprojekte

Im folgenden können Sie sich einen Überblick über aktuelle Forschungsprojekte des Lehrstuhls und seiner Mitarbeiter verschaffen.

Zu viele Fenster nach Europa? Die Konkurrenz russländischer Hafenstädte an der Ostsee im 18. Jahrhundert.

Blick auf die Neva in St. Petersburg, Kupferstich von Michail I. Mahaev, 1753

Das Projekt untersucht die russländischen Handelsströme nach Westen, welche nach den Erfolgen Peters des Großen im Nordischen Krieg möglich waren und sich rasant entwickelten und somit die wirtschaftspolitische Grundlage für den politischen und wirtschaftlichen Aufschwung Russlands im 18. Jahrhundert bildeten. Im Zentrum steht die Frage, wie die Gründung der neuen Hauptstadt St. Petersburg einerseits und die Eingliederung der neuen Territorien andererseits sich auf die Handelsströme auswirkten. Plötzlich sahen sich die traditionellen Handelsmetropolen wie Riga und Reval aber auch die alte russische Hafenstadt Archangelsk einer enormen Konkurrenz durch die neue Hauptstadt gegenüber konfrontiert. Doch bedeutete die Inkorporierung in das Russische Reich auch Chancen und neue Absatzmärkte für die Städte der Ostseeprovinzen.

Ziel der Studie ist es, zum einen die Handelsströme statistisch zu erfassen und somit die Dynamiken der Konkurrenz der Hafenstädte im Laufe des 18. Jahrhunderts zur Darstellung zu bringen. Zugleich soll aber auch nach den politischen und wirtschaftlichen Kräften gefragt werden, welche diesen Prozess verursachten. Anhand einer exemplarischen Untersuchung der verschiedenen lokalen und überregionalen Akteure wird es möglich sein, die Strukturen der russländischen Außenhandelspolitik zu analysieren.

Grundlage der Untersuchungen sind die umfangreichen Akten verschiedener Zoll- und Außenhandelsbehörden des russischen Reiches und der Hafenstädte selbst, einzusehen vor allem in den Petersburger Archiven (RGIA, RGAVMF) sowie in Moskau (RGADA). Daneben kann auf umfangreiches zeitgenössisches statistisches Material sowie auf die Sundzollregister zurückgegriffen werden.

Bearbeiter: Dr. phil. Tilman Plath

 

Sklaverei, Befreiung und politische Kultur in der Ukraine 1475-1709

Die Erfahrung der Ukrainer mit der Sklaverei und den Sklavenrazzien der Frühen Neuzeit ist ein vernachlässigtes Feld innerhalb der ansonsten äußerst produktiven Forschung zur Sklaverei. Zwar besteht Einigkeit darüber, dass in dieser Periode eine Million Bewohner dieses nach Afrika am zweitstärksten von Razzien betroffenen Territoriums auf die Sklavenmärkte des Schwarzen Meeres verschleppt wurden. Unbeachtet geblieben ist aber, welche Folgen dies und die Bedrohungswahrnehmungen der Bevölkerung für die politische Sprache und Kultur der Ukraine gehabt haben, die im Mächtedreieck zwischen Russischem Reich, Polen und Osmanischem Reich lag: der Zar versprach gegen Verzicht auf persönliche Rechte Schutz vor Razzien und den Loskauf der Sklaven; die Adelsrepublik stützte ihren bis in die Mitte des 17. Jahrhunderts anhaltenden Erfolg auf verbriefte Rechte und Freiheiten; das kosmopolitische Osmanische Reich übte eine hohe Anziehungskraft aus. Das Projekt soll zeigen, wie die ukrainischen Akteure in dieser historischen Situation zur Legitimierung ihres politischen Handelns interkulturelle Symbole und die biblischen Repräsentationen von Sklaverei und Befreiung nutzten, um ihre jeweiligen politischen Interessen nach innen und außen zu verfolgen, und wie sie aus der Sklaverei und aus Sklavenbefreiungsaktionen resultierende Kenntnisse und Kontakte sowie moralisches Kapital in ihren Beziehungen mit den großen Mächten der Region einsetzten.

Bearbeiter: Christoph Witzenrath, Ph. D. (Lon)

 

Vom südöstlichen Ostseeraum zum europäischen Mittelalter – Ein Modellentwurf der Raumwahrnehmung und Orientierung

Karte Nordeuropas aus dem Portolan-Atlas von Battista Agnese, 16. Jh.

Geografisch genaue Karten sind heute allgegenwärtige Hilfsmittel im Umgang mit dem Raum. Durch ihre hohe Verbreitung und Präzision nivellieren und normieren sie das räumliche Wissen und erleichtern die Kommunikation landeskundlicher Informationen. Als praktisches Hilfsmittel standen Karten vor dem 17. Jahrhundert jedoch nicht zur Verfügung.

Der Kern dieser Forschungsarbeit ist die praktische Raumwahrnehmung und Orientierung im südöstlichen Ostseeraum vom 10. bis zum 16. Jahrhundert. Zum Verständnis des mittelalterlichen Raumbildes soll nach der zugrunde liegenden Struktur der Raumwahrnehmung gefragt werden. Das alltagspraktische räumliche Wissen speiste sich weitgehend aus der individuellen Erfahrung und mündlich oder schriftlich kommunizierten Informationen. Diese Informationen beruhten auf subjektiven Wahrnehmungen und konnten mit jeder Stufe der Verbreitung eine Veränderung erfahren. Daraus konstruierte Räume dienten als Handlungsgrundlage im Alltag und formten die Vorstellung der Menschen von ihrem Umfeld.

Bearbeiter: Stefan Striegler, M.A.

 

Der Weg zur Auflösung der Griechisch-Katholischen Kirche in Russland 1828–1839 (Projekt abgeschlossen)

Ikone der Gottesmutter von Vladimir (anonym, frühes 12. Jh.)

„Ich mag die Union nicht. Sie ist weder das eine noch das andere, weder Fisch noch Fleisch.“ Treffend hatte Kaiser Paul I. (1796-1801) das Verhältnis der russländischen Regierung und mit ihr das der Russisch-Orthodoxen zur Griechisch-Katholischen Kirche zu Beginn des 19. Jh. in kurzer Form auf den Punkt gebracht. Insbesondere das Schicksalsjahr der Auflösung der Kirche auf russischem Gebiet 1839 lässt bis heute in der historiographischen Reflektion viele Fragen offen: Welche Rolle spielte der Heilige Synod bei der Auflösung der Kirche? Warum entschied sich Nikolaus I. für eine gänzliche, apodiktische Reinkorporierung der Mitglieder dieser Kirche, wo doch beinahe 250 Jahre eher eine repressive Politik aufgrund der Angst vor vermeintlich lateinischem Proselytismus gegenüber den griechisch-katholischen Gemeinden im Russländischen Reich gepflegt wurde? Ist es überhaupt möglich, diesen Prozess radikaler Unifizierung zeitlich derart einzugrenzen, um von einem konkreten Beginn dieser Maßnahmen sprechen zu können?

Die Examensarbeit wirft die These auf, dass die Auflösung der Griechisch-Katholischen Kirche im Russland des 19. Jh. nicht als singuläres und unvermittelt auftretendes Ereignis zum Zwecke machtpolitischer und zentralistischer Festigung zu definieren ist, sondern in der Tat als ein viele Jahre andauernder und sich verstärkender Prozess, dessen Grundlagen bereits bei Paul I. gelegt wurden und die in erster Linie theologischer Natur sind, in zweiter Linie tatsächlich sogar fremdgesteuert wirken. In der bisherigen historiographischen Diskussion zu diesem Thema eher peripher beachtete Personen, wie z.B. der Oberprokuror des Heiligen Synods, spielten auf dem Weg zur endgültigen Auflösung dieser Kirche eine wichtige und entscheidende Rolle. Diese These erhärtet sich durch viele Faktoren, welche in der Examensarbeit anhand von zeitgenössischen Quellen angeführt und eingehend untersucht werden sollen, in der Absicht, dieses komplexe und bisher vergleichsweise eher spärlich beleuchtete Kapitel osteuropäischer Kirchengeschichte dezidiert zu konturieren.

Bearbeiter: Tony Schmidt