Historisches Institut
Das Historische Institut ist 1863 als Erstes in Preußen und als Viertes in Deutschland gegründet worden und gehört damit zu den ältesten Einrichtungen dieser Art in Deutschland. Hier haben national wie international hoch angesehene Wissenschaftler geforscht und gelehrt und den Grundstein für das heutige Profil des Instituts gelegt.
Gegründet wurde das Institut als Historisches Seminar von Arnold Dietrich Schaefer und 1951 in Historisches Institut umbenannt. Es war u.a. Wirkungsstätte von Theodor Hirsch (1865-1881), Heinrich Otto Seeck (1881-1907), Ernst Bernheim (1883-1921), Fritz Curschmann (1904-1939), Adolf Hofmeister (1921-1955), Hans Glogan (1912-1934), Konrad Fritze (1953-1991), Johannes Schildhauer (1953-1984), Manfred Menger (1967-1993), Herbert Langer (1973-1992).
Im Wintersemester 2013/14 feierte das Historische Institut der Universität Greifswald sein 150jähriges Bestehen. Anlässlich dieses Jubiläums erschien von Niels Hegewisch, Karl-Heinz Spieß und Thomas Stamm-Kuhlmann herausgegebene Festschrift "Geschichtswissenschaft in Greifswald".
Im Wintersemester 2023/24 haben sich 606 Studierende für das Geschichtsstudium in Greifswald eingeschrieben. Geprägt durch international vernetzte Forschungsprojekte, eine exzellente Lehre und eine intensive Betreuung der Studierenden ist das Greifswalder Historische Institut ein vorzüglicher Ort, um den Bachelor und Master in Geschichtswissenschaft oder das Staatsexamen zu absolvieren.
Sechs Professuren vertreten die einzelnen historischen Epochen, die Geschichte des Wissens, die Hilfswissenschaften und epochenübergreifend die Geschichte von Nord- und Osteuropa. Neben Lehrveranstaltungen zur Alten Geschichte, werden Vorlesungen, Seminare und Kolloquien zur Geschichte des Mittelalters, zur Geschichte der Frühen Neuzeit, der Neuesten Zeit einschließlich der Zeitgeschichte, sowie zur Nordischen und Osteuropäischen Geschichte als Schwerpunkte angeboten. Daneben ist auch der Bereich Fachdidaktik vertreten und die Fächer Gräzistik und Latinistik sind an das Institut angesiedelt.
Aus dem Institut wurden erfolgreich das Graduiertenkolleg „Kontaktzone Mare Balticum: Fremdheit und Integration im Ostseeraum“ (2000-2009), das erste geisteswissenschaftliche Graduiertenkolleg in Mecklenburg-Vorpommern, sowie das Internationale Graduiertenkolleg „Baltic Borderlands: Shifting Boundaries of Mind and Culture in the Borderlands of the Baltic Sea Region“ (2010-2019) für die Universität eingeworben. Seit 2021 beteiligt sich das Institut an dem Internationalen Graduiertenkolleg 2560 "Baltic Peripeties" (Ostsee-Peripetien. Reformationen, Revolutionen, Katastrophen), einem gemeinsamen Forschungsprogramm von drei Universitäten im Ostseeraum - Greifswald, Tartu und Trondheim. Am IRTG erforschen Doktoranden und Professoren die narrativen Konstruktionen des Ostseeraums in einem interdisziplinären Umfeld und mit dem Fokus auf das Konzept der "Peripetie".
Interdisziplinär arbeiten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern des Historischen Instituts mit den verschiedenen Fachbereiche der Geistes-, Sozial- und Naturwissenschaften sowie der Theologie und Medizin im IFZO-Forschungsverbund „Fragmentierte Transformationen. Wahrnehmungen, Konstruktionen, Verfasstheiten einer Region im Wandel zusammen. Das Interdisziplinäre Forschungszentrum Ostseeraum - IFZO ist eine zentrale Einrichtung an der Universität Greifswald und bündelt alle Forschungsaktivitäten zum Ostseeraum und bietet Unterstützungs-, Forschungs- und Transferstrukturen für innovative Forschungsfragen und kollaborative Projekte aller Fachbereiche. Das IFZO repräsentiert den universitären Forschungsschwerpunkt „Kulturen des Ostseeraums“.
Die Arbeitsstelle Inschriften in Greifswald wurde 2002 von der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen in Kooperation mit dem Land Mecklenburg-Vorpommern an der Universität Greifswald angegliedert. Ziel ist die Erfassung und Publikation der bis 1650 entstandenen historischen Inschriften in den Städten und Landkreisen entlang der Ostseeküste Mecklenburg-Vorpommerns.
Das Institut unterhält enge Kontakte zu vielen Universitäten im Ausland wie beispielsweise Szczecin/Stettin, Gdańsk/Danzig, Vilnius/Wilna, Riga, Tartu/Dorpat, Helsinki, Stockholm, Lund, Kopenhagen, Bergen sowie zur University of California in Santa Barbara, um nur einige zu benennen. Auslandsaufenthalte von Studierenden werden ausdrücklich unterstützt. Durch enge Kooperationen mit Archiven, Museen, Gedenkstätten, Schulen und Gymnasien in Mecklenburg-Vorpommern wird eine praxisnahe Ausbildung ermöglicht.
Das 1911 fertig gestellte Institutsgebäude in der Domstraße 9 a (s. Bild) wurde unter Leitung des Landbaudirektors Ernst Lucht errichtet und weist sich durch eine elegante Mischung aus schlichter Moderne einerseits und neobarocken und neoklassizistischen Elementen andererseits aus. Nachdem mehrere größere Putzstücke herabgefallen waren und sich deutliche Risse in der Außenwand zeigten, wurde das Gebäude im Jahre 2010 untersucht. Aus Sicherheitsgründen wurde es im selben Jahr komplett gesperrt. Im Juli 2015 begann die Sanierung des denkmalgeschützten Gebäudes durch den Betrieb für Bau- und Liegenschaften Mecklenburg-Vorpommern. So wurde zum Beispiel das alte Gestühl im Hörsaal aufgearbeitet und das historische Farbkonzept übernommen. Überraschender Blickfang ist die Deckenmalerei über dem Treppenhaus. Neu sind ein Aufzug sowie eine Rampe vor dem Eingangsbereich, damit kann das Gebäude barrierefrei erreicht und genutzt werden. Auch Küchen sowie komplett neue Sanitäranlagen gehören zur Ausstattung. Zudem wurde eine Außentreppe als zweiter Rettungsweg gebaut. Das Gebäude wurde im Juni 2017 an die Universität übergeben und Mitte Juli begann der Umzug der Mitarbeitenden des Historischen Instituts aus der Bahnhofstraße 51 und der Rubenowstraße 2.
Ab dem Wintersemester 2023/2024 sind alle Lehrstühle und Arbeitsbereiche des Historischen Instituts in der Domstraße 9a untergebracht. Außerdem befinden sich im Gebäude zwei Hörsäle und drei Seminarräume.
Die Bereichsbibliothek am Campus Loefflerstraße versammelt die aktuellen Buch- und Zeitschriftenbestände für die geisteswissenschaftlichen Fachgebiete und die Theologie.
Professoren des Historischen Instituts waren u. a.
geb. 19.02.1859 in Hamburg
gest. 3.03.1942 in Greifswald
1883 außerord. Prof. für mittlere und neuere Geschichte
1889 ord. Prof. für mittlere und neuere Geschichte
1921 Emeritierung
Arbeiten zur mittelalterlichen Reichsgeschichte und zur historischen Methode sowie zur Hochschuldidaktik, MGH-Mitarbeiter
Schriften (Auswahl):
Das Wormser Konkordat und seine Vorurkunden hinsichtlich Entstehung, Formulierung, Rechtsgültigkeit, Breslau 1906.
Zur Geschichte Gregors VII. und Heinrichs IV. (Quellen zur Geschichte des Investiturstreites, H. 1), Leipzig 1913.
Zur Geschichte des Wormser Konkordates (Quellen zur Geschichte des Investiturstreites, H. 2), Leipzig 1914.
Auswahl europäischer Verfassungsurkunden von 1791 bis 1871, Greifswald 1910.
Einleitung in die Geschichtswissenschaft, Leizpig 1907.
geb. 17.03.1874 in Berlin
gest. 5.02.1946 in Greifswald
1905 Habilitation an der Univ. Greifswald
1909 Titularprofessor in Greifswald
1918 Prof. an der Universität Dorpat
1919 außerord. Prof. in Greifswald
ab 1926 Leiter des von ihm gegründeten Historisch-Geographischen Seminars
1928 Ordinarius und Direktor des Historischen Seminars
geb. 24.01.1833 in Altenburg
gest. 1.03.1901 in Heidelberg
1871 ord. Prof. für Neuere Geschichte
1873 Wechsel nach Breslau
Arbeiten zur mittleren und neueren Geschichte Deutschands und Preußens
Schriften (Auswahl):
Urkunden und Actenstücke zur Geschichte des Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg, Teil: 6., Politische Verhandlungen, Bd. 3, Berlin 1872.
geb. 8.08.1930 in Bernburg
gest. 14.01.1991 in Greifswald
1966 außerord. Prof.
1968 ord. Prof. für allgemeine und deutsche Geschichte
Arbeiten zur Hanse- und Wirtschaftsgeschichte
Schriften (Auswahl):
Am Wendepunkt der Hanse. Untersuchungen zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte wendischer Hansestädte in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts, Berlin 1967 (Habilitationsschrift).
Die Hanse (zusammen mit J. Schildhauer und W. Stark), Berlin 1974, 6. Aufl., 1985.
geb. 3.02.1871 in Berlin
gest. 7.12.1934
1904-1912 außerord. Prof. für neuere Geschichte in Marburg
1912-1934 ord. Prof. für Geschichte in Greifswald
Arbeiten zur neueren und neuesten Geschichte
geb. 17.12.1806 in Altschottland bei Danzig
gest. 12.02.1881 in Greifswald
1865 ord. Prof. für Geschichte und Oberbibliothekar der Kgl. Universitätsbibliothek
Arbeiten zur preußischen Geschichte und zu den historischen Hilfswissenschaften
Schriften (Auswahl):
Danzigs Handels- und Gewerbsgeschichte unter der Herrschaft des Deutschen Ordens, Leipzig 1858.
geb. 9.08.1883 in Rostock
gest. 7.04.1956 in Greifswald
1921-1955 ord. Prof. für mittlere und neuere Geschichte
Arbeiten zur Geschichte des Mittelalters und Pommerns, MGH-Mitarbeiter
Schriften (Auswahl):
Deutschland und Burgund im früheren Mittelalter. Eine Studie über die Entstehung des Arelatischen Reiches und seine politische Bedeutung, Leipzig 1914.
Der Kampf um die Ostsee vom 9. bis 12. Jahrhundert (Greifswalder Universitätsreden, Heft 29), Greifswald 1931 (2. Aufl., 1942, 3. Aufl., 1960).
Genealogische Untersuchungen zur Geschichte des pommerschen Herzogshauses (Greifswalder Abhandlungen zur Geschichte des Mittelalters, Bd. 11), Greifswald 1938.
geb. 10.09.1833 in Bonn
gest. 25.12.1883 in Leipzig
1863-1868 PD für Geschichte an der Universität Bonn
1868-1870 ord. Prof. für Geschichte an der Universität Greifswald
1870 Wechsel nach Marburg
Arbeiten zur frühmittelalterlichen Reichsgeschichte und Geschichte England in der Frühen Neuzeit
Schriften (Auswahl):
Europäische Geschichte im achtzehnten Jahrhundert, Abt. 1: Der spanische Erbfolgekrieg, Düsseldorf 1870.
geb. 16.10.1819 in Seehausen bei Bremen
gest. 19.11.1883 in Bonn
1857 ord. Prof. für Geschichte, Gründer des Historischen Seminars 1863
1865 Wechsel nach Bonn
Arbeiten zur Geschichte der Antike und Preußens in der Frühen Neuzeit
Schriften (Auswahl):
Abrisz der Quellenkunde der Griechischen und Römischen Geschichte: Abth. 1: Abriss der Quellenkunde der griechische Geschichte bis auf Polybios, Leipzig 1867; Abth. 2: Die Periode des römischen Reiches, Leipzig 1881.
geb. 28.11.1918 in Dessau
gest. 1.04.1995 in Greifswald
1957 ord. Prof. für mittlere und neuere Geschichte
1983 Emeritierung
Arbeiten zur Hansegeschichte, zur mittleren und neueren deutschen Geschichte, besonders Sozialgeschichte
Schriften (Auswahl):
Die Grafen von Dassel. Herkunft und Genealogie, Greifswald 1946 (Dissertation).
Soziale, politische und religiöse Auseinandersetzungen in den Hansestädten Stralsund, Rostock und Wismar im ersten Drittel des 16. Jahrhunderts, Greifswald 1956 (Habilitation).
Die Hanse (zusammen mit K. Fritze und W. Stark), Berlin 1974, 6. Aufl., 1985.
geb. 2.02.1850 in Riga
gest. 29.06.1921 in Münster
1881 Prof. für Geschichte
1907 Wechsel nach Münster
Arbeiten zur alten Geschichte
Schriften (Auswahl):
Geschichte des Untergangs der antiken Welt, Stuttgart 1895-1921 (6 Bde.).
Die Quellen der Odyssee, Berlin 1887.
Kaiser Augustus, Bielefeld 1902.
geb. 25.11.1841 in Weimar
gest. 17.11.1931 in Darmstadt
Studium an der Universität Jena, 1867 Habilitation
1870-1874 Prof. für allgemeine Geschichte an der Universität Dorpat
1874 Prof. für Neuere Geschichte an der Universität Greifswald
1912 Emeritierung
Arbeiten zur neueren Geschichte, vornehmlich der Reformationszeit
Schriften (Auswahl):
Kaiser Maximilian I.: auf urkundlicher Grundlage dargestellt, Stuttgart 1884 (Bd. 1), 1891 (Bd.2).
Das Leben des deutschen Volks bei Beginn der Neuzeit, Halle 1893.
Über die Memoiren des Fürsten Adam Czartoryski, Greifswald 1898.
Geschichte der Befreiungskriege 1813 und 1814, München 1914 (Bd. 1), 1915 (Bd. 2).
geb. 7.06.1835 in Nienburg an der Weser
gest. 31.05.1874 in Bremen
Studim der Geschichte an der Universität Göttingen, 1860 Promotion ("Die dänischen Annalen und Chroniken des Mittelalters") und später Habilitation
1865 Berufung als außerord. Prof. für Geschichte an der Universität Greifswald
1866 ord. Prof. für Geschichte an der Universität Greifswald
1868 Wechsel nach Kiel
Arbeiten zur mittelalterlichen, nordischen und hansischen Geschichte
Vor 130 Jahren hatte die Universität Greifswald gerade einmal 1 000 Studenten, und nur etwa 15 von ihnen besuchten Veranstaltungen in den Fächern Griechisch, Latein, Alte Geschichte oder Archäologie. Diese wenigen Studenten der Altertumswissenschaften wurden aber von ganz hochkarätigen Wissenschaftlern unterrichtet, die wegweisende Forschung in Angriff nahmen und damit international Anerkennung erlangten. Die Ringvorlesung im Wintersemester 2017/2018 möchte diese erfolgreiche Tradition aufzeigen und damit auch ein Stück Universitätsgeschichte erzählen.
Zehn ausgewählte Forscherpersönlichkeiten des 19. und frühen 20. Jahrhunderts werden mit ihrer wissenschaftlichen Leistung gewürdigt, die sich häufig auf gleich mehrere Fachdisziplinen erstreckte. Der Fokus liegt dabei auf ihrer Zeit in Greifswald: Da ist der alte Gelehrte, der um vier Uhr morgens im Schlafrock und mit Pfeife am Hafen steht und ein Schiff erwartet, oder der junge Professor, der auf dem Motorrad die Straßen der Stadt unsicher macht. In ihren wissenschaftlichen Biographien wird das akademische Leben im alten Greifswald anschaulich.
www.uni-greifswald.de/local-heroes
Josef Keil
Der Greifswalder Althistoriker und Archäologe Josef Keil führte ein ungewöhnlich wechselvolles Leben. Geboren 1878 in Nordböhmen, ging er nach seinem Studium in Wien für zehn Jahre als wissenschaftlicher Sekretär des Österreichischen Archäologischen Instituts in das damals kosmopolitische Smyrna (heute Izmir in der Türkei). Von dort aus unternahm er zahlreiche epigraphische Forschungsreisen in Kleinasien. Er bestritt diese Reisen in das unwegsame südtürkische Gebirge mit einer Karawane von sieben Reitpferden, zehn Packpferden und zwei Kamelen; neben dem wissenschaftlichen Personal waren ein Kameltreiber, ein Koch, drei Pferdeknechte und drei Gendarmen mit dabei.
Nach einer Verwundung im Ersten Weltkrieg habilitierte sich Keil und wurde 1927 als Ordinarius für Alte Geschichte an die Universität Greifswald berufen. Während seiner Greifswalder Zeit leitete er die prestigereichen österreichischen Ausgrabungen in Ephesos, der Hauptstadt der römischen Provinz Asia. (An diesem Jahrhundertprojekt haben zuletzt 200 Forscher und Forscherinnen aus über 20 Nationen gearbeitet; es wurde im September 2016 nach 120 Jahren von der türkischen Regierung aufgekündigt.) Unter Keils Leitung wurden in Ephesos bedeutende Bauwerke wie der Tempel des berüchtigten Kaisers Domitian, das Mausoleum von Belevi und die spätantike Johanneskirche freigelegt. Keils Forschungsberichte sind noch heute eine faszinierende Lektüre: "... In strömendem Regen gingen am frühen Morgen des 24. April Regierungsrat Dedy und die übrigen Teilnehmer der Expedition in Tasch-udschu an Land, während Herr Vizekonsul v. Pözel die Fahrt nach Beirut fortsetzte ... "
1936 wurde Keil nach Wien zurückberufen, wo er in der Zeit des Nationalsozialismus Professor blieb, aber dennoch als so unbelastet galt, dass er nach der Befreiung 1945 sogar kurzfristig als provisorischer Rektor eingesetzt wurde. Nach seiner Emeritierung 1950 konzentrierte er sein Wirken auf die Österreichische Akademie der Wissenschaften. Die Wiederaufnahme der Grabungen in Ephesos im Jahre 1954 ist vor allem seiner Initiative zu verdanken; sein persönliches Forschungsinteresse aber galt in erster Linie den kleinasiatischen Inschriften, über die er zahlreiche Abhandlungen und Erstpublikationen verfasste.
Franz Susemihl
Franz Susemihl hat für fast ein halbes Jahrhundert die Altertumswissenschaften hier in Greifswald geprägt, nicht wie viele andere nur für wenige Jahre. Das betrifft nicht nur seine Lehrtätigkeit, sondern vor allem sein editorisches Schaffen der Schriften Platons und des Aristoteles (und entsprechender Übersetzungen), was bis in die Gegenwart wirkt. Er hat sich zudem der platonischen Philosophie gewidmet und ein überaus umfangreiches wissenschaftliches Corpus zu verschiedensten Aspekten der antiken griechischen Philosophie und Literatur hinterlassen. Auch wenn er weniger hochschulpolitisch eingebunden war, blieb er für seine Schüler und Kollegen ein wichtiger Ansprechpartner.
Zugleich war er auch in der lokalen und städtischen Politik in Greifswald als Liberaler präsent und steht in diesem Sinne für einen Gelehrtentyp der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, der im wahrsten Sinne des Wortes Grundlagenforschung geleistet hat, was nicht zuletzt sein Bestandsaufnahme der Geschichte der griechischen Literatur im hellenistischen Zeitalter zeigt. Er steht für einen Gelehrten, der Wissenschaft als Kärnerarbeit verstand und sich von daher ungemein fleißig, akribisch, diszipliniert und beharrlich der Schaffung einer soliden Basis von Wissenschaft gewidmet hat, wie es ja auch die großen altertumswissenschaftlichen Projekte dieser Zeit verdeutlichen. Er steht somit dann weniger für die späteren „großen Würfe“, deren zeitbedingte Wirkung naturgemäß begrenzt bleibt. Seine Persönlichkeit zeichneten Bescheidenheit, Bedachtheit und eine ihm eigene Selbstkritik aus. Er ist dann hier in Greifswald ein wenig in Vergessenheit geraten.
Franz Dornseiff
Der Klassische Philologe Franz Dornseiff (1888–1960) war in Greifswald von 1926 bis 1945 und dann erneut von 1947 bis 1948 Ordinarius für Klassische Philologie. In dieser Zeit hat er nicht nur altertumswissenschaftliche Arbeiten verfasst – vor allem auf dem Gebiet der griechischen Dichtung –, sondern auch als Indogermanist und Germanist geforscht.
Eduard Norden
Für den Latinisten Eduard Norden (1868–1941) bildete die Greifswalder Zeit einen ersten Höhepunkt seiner akademischen Laufbahn – sowohl in fachlicher wie auch in persönlich-familiärer Hinsicht. Hier verfasste er sein epochemachendes, von stupender Gelehrsamkeit zeugendes Werk über die antike Kunstprosa, das zu den Standardwerken der Klassischen Philologie zählt. Daneben fasste er mit seinem Greifswalder Kollegen Alfred Gercke den Plan zu einem Grundlagenwerk für Studierende, die mehrfach aufgelegte „Einleitung in die Altertumswissenschaft“, die unter dem Rufnahmen „Gercke-Norden“ untrennbar mit seiner Person verbunden ist.
Das rege Greifswalder Gesellschaftsleben, in das sich der eher zurückhaltende Norden nur allmählich hineinzufinden vermochte, führte ihn auch mit seiner künftigen Ehefrau Marie Schultze – einer Tochter des Greifswalder Bürgermeisters Richard Sigmund Schultze (1831–1916) – zusammen, mit der er sich 1897 vermählte. So blieb Norden auch nach seiner Berufung nach Breslau und in den kommenden Jahrzehnten der Stadt Greifswald stets aufs Engste verbunden.
Die Greifswalder Jahre festigten auch seine Stellung innerhalb der deutschen Altertumswissenschaft, so dass der als Sohn jüdischer Eltern im ostfriesischen Emden geborene Norden auch weiterhin offenbar keinerlei ‚außerwissenschaftliche’ Karrierehürden zu überwinden hatte. 1907 von Breslau nach Berlin berufen, gelang es ihm 1927, zum Rektor der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität gewählt zu werden. Antisemitische Anfeindungen blieben ihm anscheinend auch in dieser Rolle erspart. Umso härter traf ihn, der sich im Alter von 17 hatte taufen lassen, dass mit dem Jahr 1933 die Herrschaft eines Regimes begann, das ihn aufgrund seiner Geburt zum „Staatsbürger 2ter Klasse“ erklärte und schließlich ins Schweizer Exil drängte, wo er – geistig gebrochen und körperlich erschöpft – 1941 starb.
Ernst Lohmeyer
Ernst Lohmeyer (1935–1946) gehört ohne Frage zu den bedeutendsten Neutestamentlern des 20. Jahrhunderts. Aufgewachsen in einem Westfälischen Pfarrhaus, studierte er in Tübingen, Leipzig und Berlin Theologie, Philosophie und Orientalische Sprachen. 1921 erhielt er, erst 31-jährig, einen Ruf an die Universität Breslau (als Nachfolger Rudolf Bultmanns). Als er sich 1932 während der Breslauer Universitätsrandale für einen bedrängten jüdischen Kollegen eingesetzte, geriet er in das Visier der Nationalsozialisten, die 1935 seine Strafversetzung nach Greifswald veranlassten.
Trotz dieses unfreiwilligen Wechsels erwies sich Greifswald für das weiterer Schaffen Lohmeyers wie auch für die Theologische Fakultät als ein Glücksfall. Hier in Greifswald verfasste er so wichtige Arbeiten wie „Galiläa und Jerusalem“ (1936), den bedeutenden Kommentar zum Markusevangelium im KEK (1937), „Kultus und Evangelium“ (1942), „Gottesknecht und Davidsohn“ (1945) oder „Das Vaterunser“ (1946). Eigenwillig in Sprache und Denken entzog er sich den vielfältigen Schulbildungen und -streitigkeiten seiner Zeit. Dass er den zunehmenden Antisemitismus in der Auslegung der biblischen Schriften beim Namen nannte und entschieden ablehnte, macht ihn in der Wissenschaftslandschaft der 1930er und 40er Jahre zu einer Ausnahmeerscheinung. Nach dem Buch seines Greifswalder Vor-Vorgängers Gerhard Kittel über „Die Judenfrage“ von 1933 etwa wandte er sich mit einem Brief an Martin Buber, in dem er sich klar von Kittel distanzierte.
Nach 1945 wurde Lohmeyer dank seiner integren Persönlichkeit zum ersten Rektor der neu zu organisierenden Greifswalder Universität gewählt. Dem kommunistischen System stand er jedoch ebenso kritisch gegenüber. In der Nacht vor der feierlichen Wiedereröffnung der Universität am 15. Februar 1946 wurde Ernst Lohmeyer vom NKWD verhaftet. Die Gründe – eine bis heute nicht völlig aufgeklärte politisch motivierte Denunziation – blieben ebenso wie sein Verbleib im Dunkeln. Von dem Tod Lohmeyers erfuhren die Familie und die Greifswalder Öffentlichkeit erst 1958. Bereits am 19. September 1946 war er in Greifswald erschossen worden. Im August 1996 erfolgte die vollständige Rehabilitierung durch den Generalstaatsanwalt der Russischen Föderation. Der Neubau, den die Theologische Fakultät im Jahr 2000 am Rubenowplatz bezog, trägt seither den Namen „Ernst-Lohmeyer-Haus“.
Otto Seeck
Als der gerade einmal 31-jährige Otto Seeck 1881 als außerordentlicher Professor nach Greifswald berufen wurde, wähnte er sich am Anfang einer glänzenden Karriere. Ein Professor in Greifswald sei „ein ziemlich großes Tier“, schrieb er stolz an seine kleine Schwester. Von nun an könne sich seine Position nur noch verbessern, und wenn sie sich nicht verbessere, so sei dies nur seine Schuld, denn er sei „auf eine Warte gestellt, wo jedermann mich sieht und es beachten muß, wenn ich etwas Beachtenswerthes hervorbringe“.
Und in der Tat standen alle Zeichen auf Erfolg: Sein Lehrer Theodor Mommsen war der bedeutendste Althistoriker seiner Zeit und hatte erheblichen Einfluss auf die Besetzungen altertumswissenschaftlicher Lehrstühle. Seeck selbst beherrschte das historische Handwerkszeug, war fleißig und originell, und er war ein faszinierender Lehrer. Vier Jahre nach seiner Ankunft in Greifswald wurde er zum ordentlichen Professor erhoben. Doch 25 Jahre später war er noch immer da, während er hatte zusehen müssen, wie andere ihm in Berufungen auf Lehrstühle größerer Universitäten vorgezogen wurden.
Dabei hatte er ein beeindruckendes Oeuvre vorgelegt: Noch immer kommt man an seinen Artikeln, Editionen und Monographien zur Spätantike nicht vorbei. Seine in Greifswald verfasste mehrbändige „Geschichte des Untergangs der antiken Welt“, die er als seine Lebensaufgabe betrachtete, verband Forschung und Geschichtsschreibung im großen Stil und vor allem ihretwegen wird er heute neben Theodor Mommsen und Eduard Meyer als großer Historiker seiner Zeit genannt.
Wieso hing er also bis zu seiner Versetzung nach Münster 1907 an der „Anfängeruniversität“ Greifswald fest? War es, wie heutige Althistoriker vermuten, sein für schwierig befundener Charakter, der ihn persönlich unbeliebt machte, oder seine Spezialisierung auf die Spätantike, die als Forschungsgebiet für eine große Universität zu eng galt? Oder kann es vielmehr sein, dass man ihn als Vertreter einer als „gefährlich“ empfundenen modernen Geschichtsauffassung mit allen Mitteln von einflussreicheren Lehrstühlen fernzuhalten suchte? Und was verbanden seine Zeitgenossen damit, wenn sie ihn als „Fanatiker seiner Ideen“, Unheilsbringer, Neuerer oder wie Max Weber gar als „Neuesten“ bezeichneten?
Konrad F. Ziegler
Gelehrter, demokratischer Politiker, Pazifist – ein Gerechter unter den Völkern. Die Holocaust-Gedenkstätte in Jerusalem, Yad Vashem, hat Konrat F. Ziegler (1884–1974) im Januar 2001 als „Righteous Among the Nations“ geehrt – für die Hilfe und den Schutz, den er jüdischen Menschen während des Holocaust bot.
Die Biographie dieses Altphilologen, dessen immenses Werk über den Kreis der Fachkollegen hinaus durch die abschließende Herausgabe von „Paulys Realencyclopädie“ bekannt wurde, ist auch – und mit Blick auf sein Greifswalder Wirken sogar überwiegend – eine politische Geschichte.
Julius Wellhausen
Der Theologe und Orientalist Julius Wellhausen (1844–1918) war von 1872 bis 1882 Professor für Altes Testament in Greifswald. Er heiratete hier die älteste Tochter des Greifswalder Chemikers Heinrich Limpricht. Da der preußische Kultusminister Friedrich Althoff seinem Antrag auf Versetzung in die Philosophische Fakultät nicht stattgab, legte Wellhausen 1882 aus Gewissensgründen seine Professur in Greifswald nieder und habilitierte sich im Fach Semitische Philologie. Auf dieser Grundlage konnte er zum Professor für Orientalische Sprachen erst in Halle, dann in Marburg und schließlich in Göttingen berufen werden.
Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff
Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff (1848–1931) gehört fraglos zu den bedeutendsten deutschen Altertumswissenschaftlern. In seinen Arbeiten, aber auch in seiner akademischen Lehre repräsentierte er ein Konzept der Erforschung des Altertums, das man als einen Höhepunkt des Historismus bezeichnen darf. In Greifswald, seiner ersten akademischen Station, begann Wilamowitz dieses Konzept – auch als Habitus – auszubilden, unter dem Einfluss gerade von Kollegen einer Universität, die sich offenbar im Umbruch befand.
Das Historische Institut der Universität Greifswald ehrt den früheren Greifswalder Professor Eduard Norden (1868–1941) anlässlich seines 150. Geburtstags am 21. September 2018 mit einer Gedenktafel am Institutsgebäude in der Domstraße 9 A.
Berühmt wurde der Philologe Eduard Norden tatsächlich als Professor dieser Universität, da er sein epochemachendes Werk über die antike Kunstprosa in seiner Greifswalder Zeit publizierte. Norden, nachmaliger Rektor der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin, war schon zu Lebzeiten „einer der bekanntesten Latinisten der Welt“ (so der Präsident der Universität Princeton bei Nordens Ehrendoktorverleihung). Aus Greifswalder Sicht ist er auch deshalb von besonderem Interesse, weil sich in seiner Person beispielhaft Universität und Stadt verbinden. Die Initiative des Historischen Instituts versteht sich auch als Beitrag dazu, auf eine Tradition herausragender Forschung in Greifswald hinzuweisen.
Die Gedenktafel wird anläßlich von Nordens 150. Geburtstag am 21. September im Rahmen eines Festakts eingeweiht. Olaf Schlunke (Berlin) wird anlässlich der Enthüllung einen kurzen Vortrag über Eduard Norden in Greifswald halten. Schlunke hat für die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften Nordens wissenschaftlichen Nachlass aufgearbeitet und darf damit als ein ausgewiesener Kenner von dessen wissenschaftlicher Biographie gelten.