Forschungsprojekt

Die Ursprünge des Overtourism

von Jan-Hinnerk Antons

 

Das Phänomen Overtourism ist gegenwärtig überall dort in aller Munde, wo sich Unbehagen bezüglich des Ausmaßes und der Folgewirkungen des Tourismus regt. Wann das Maß voll ist und welche Erscheinungen unerwünscht sind, unterliegt einem kulturellen und politischen Aushandlungsprozess, der keineswegs erst mit dem Massentourismus in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts begann. Schon in der Mitte des 19. Jahrhunderts artikulierte sich in manchen neu für den Tourismus erschlossenen Regionen heftige Kritik an Veränderungen des Landschaftsbildes. Diese reflexive Kritik des Tourismus basierte zum Teil auf einem kulturkritischen Impuls und teilt mit dem Tourismus dieselben Wurzeln. Eine weitere wichtige Quelle für kritische Perspektiven auf touristische Entwicklungen lag aber auch historisch in der Verteilung der für die Bereisten zu realisierenden ökonomischen Vorteile.

Dieses Forschungsprojekt ist in der wirtschaftshistorischen Umbruchphase des 19. Jahrhunderts angesiedelt und verfolgt die Etablierung kapitalistischer Logiken in dem neu entstehenden Wirtschaftszweig des Tourismus. Es zielt darauf ab, die Wirtschaftsgeschichte der Ostseebäder auf ihre Anfänge im 19. Jahrhundert hin zu untersuchen. Investitionen und Innovationen gingen von ganz unterschiedlichen Akteuren aus: Manche Bäder waren landesherrliche Gründungen, andere wurden von zu Aktiengesellschaften zusammengeschlossenen Kaufleuten gegründet, wieder andere basierten auf der Zimmervermietung lokaler Fischerfamilien, den Initiativen von Badeärzten oder Investitionen lokaler Gastwirte. Doch welche Bedingungen führten zu kurz- wie langfristig positiven Entwicklung? Welche Rolle spielte transnationaler Innovations- und Wissenstransfer und welche Verflechtungen gab es unter den Akteuren? Inwiefern stellten die neu geschaffenen wirtschaftlichen Strukturen alte Ordnungen in Frage? Welche Geschlechterordnung wurde der Tourismuswirtschaft eingeschrieben? Und vor allem: Inwiefern hing die Akzeptanz der durch den Tourismus bedingten Veränderungen der Lebenswelt mit einer breiten Teilhabe an seinen ökonomischen Erfolgen zusammen? In Fallstudien zu einzelnen Seebädern im gesamten Ostseeraum werden diese Fragen vergleichend untersucht.

 

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