Marco Nase: Grenzüberschreitende Kulturpolitik zwischen politischem Auftrag und wissenschaftlicher Norm. Die Nordeuropastudien an den Universitäten Greifswald und Kiel 1918 bis 1990

Beschreibung des Dissertationsprojektes

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts kristallisierte sich in der deutschen Diskussion über den Aufbau einer Auswärtigen Kulturpolitik der Bedarf nach einer wissenschaftlichen Befassung mit fremden Kulturen heraus, der als zentrale Voraussetzung eines vertieften Verständnisses und damit auch eines verstärkten Zugangs zum nicht-deutschsprachigen Ausland aufgefasst wurde. Im Verlaufe des Ersten Weltkriegs begann die Einrichtung dieser „Auslandsstudien“, indem einzelnen Universitäten regionale Schwerpunkt zugedacht wurden, die diese im Rahmen interdisziplinärer Kompetenzzentren zu bearbeiten hatten. Die Wahl für den Nordeuropaschwerpunkt fiel dabei auf die Universitäten Greifswald und Kiel.

Beide Standorte bauten sich mit unterschiedlichen Voraussetzungen und Strategien eine eigene und jeweils unterschiedlichen Einflüssen ausgesetzte Nordeuropaforschung auf, die dieses Projekt untersuchen will. Dabei soll es einerseits darum gehen, bestehende Forschungslücken zu den deutschen Nordeuropastudien zu schließen und bisher nur grob kartierte Bereiche näher zu beleuchten. Besonders zu Kiel präsentiert sich die bisherige Forschungslage als bruchstückhaft. Für Greifswald existieren hier deutlich umfangreichere Studien, deren Erkenntnisse aber an vielen Stellen mit inzwischen zugänglich gewordenen Quellen neu bewertet werden müssen.

Andererseits bieten die Untersuchungsgegenstände auch eine hervorragende Möglichkeit, akademische Selbstbehauptungsstrategien im Spannungsfeld zwischen wissenschaftlichem Selbstverständnis, politischen und gesellschaftlichen Bedürfnislagen und Auslandswahrnehmung zu studieren. Die (deutsche) Hochschule, die sich selbst als autonomes System versteht, kann an keiner Stelle ihre starke Rückbindung an Politik und Gesellschaft leugnen, verfügt zur Verteidigung und Expansion ihrer Ressourcen jedoch über ein sehr starkes diskursives Kapital. Dieses ist jedoch nicht für jedes politische Umfeld und für jede gesellschaftliche und akademische Gemengelage gleichermaßen anwendbar, umso mehr, als die Nordeuropastudien – außerhalb der „alten“ Fächer wie etwa Germanistik oder Geschichte – nicht auf klassische Rhetoriken der historischen Pfadabhängigkeit rekurrieren können. Gerade angesichts der großen Möglichkeiten unmittelbarer Verwertbarmachung der Nordeuropawissenschaften und der vielen politischen Brüche im Untersuchungszeitraum öffnet sich damit ein interessantes Untersuchungsfeld.