Jan Reinicke, M.A.
Fotos von Protesten rufen unterschiedliche Assoziationen hervor. Mögen es verwackelte Fotos in sozialen Medien oder Pulitzer-Preis prämierte Fotodokumentationen sein. Als Erzeugnisse der visuellen Begleitung von Protesten eint sie ihre Überschreitung räumlicher Grenzen und ihr Potential selbst zur Geschichte zu werden. Das Promotionsprojekt zielt darauf ab, Fotografien, die im Zusammenhang mit Protestbewegungen zum Arbeitskampf, dem Frauenwahlrecht und dem Naturschutz zwischen 1880 und 1918 in Deutschland und Schweden entstanden, zu analysieren. Angesiedelt im Bereich der Visual History wird untersucht, inwiefern diese technischen Bilder Narrative und Gegennarrative der Protestierenden hervorbrachten, die schriftliche Berichte ergänzten oder konterkariert.
Der Untersuchungszeitraum um die Jahrhundertwende ist durch entscheidende und rasch aufeinanderfolgende fototechnische Entwicklungen und dynamische gesellschaftspolitische Prozesse charakterisiert. Das Aufkommen kompakterer Kameras um 1880 führt zu einem Wachstum der privaten Fotografie ebenso wie des professionellen Fotojournalismus, der zudem von neuen Drucktechniken profitiert. So begleitete die Fotografie auch aktiv die gesellschaftlichen Entwicklungen in beiden Ländern. Besonders die illustrierte Presse trug dazu bei, Gewaltepisoden, wie sie Streiks und politische Demonstrationen mit sich brachten, zu dramatisieren. Als Untersuchungsraum dienen dem Projekt Deutschland und Schweden, deren Gemeinsamkeiten und Verflechtungen beispielsweise in sozialdemokratischen und gewerkschaftlichen Entwicklungen stark ausgeprägt sind. Mit dem Storstrejken von 1909 spielte sich einer der längsten und weitreichendsten sozialen Konflikte jener Zeit in Schweden ab, der Kampfbegriffe wie „Streikterrorismus“ hervorbrachte. In Deutschland wiederum formierten sich starke Widerstandskräfte sowohl gegen die Aushöhlung der liberalen Ordnung als auch gegen die demokratische ‚Weiterentwicklung‘ der wilhelminischen Gesellschaft. Diese Widersprüche gingen mit enttäuschten Erwartungen bei Sozialisten und Linksliberalen ebenso wie bei Konservativen und Rechtsradikalen einher und werden als ein signifikantes Beispiel für eine politische Peripetie untersucht, die schließlich im Ersten Weltkrieg als eine der größten Katastrophen der westlichen Welt des 20. Jahrhunderts mündete.
Josephine Eckert, M.A.
Europäische Gedenkkultur im Spiegel baltischer Erinnerungskonkurrenzen – das Beispiel des 23. Augusts
Das Promotionsprojekt untersucht konkurrierende Narrative zum „23. August“, einem 2009 vom EU-Parlament eingeführten europäischen Gedenktag für die Opfer totalitärer und autoritärer Regime, der auch als Gedenktag für die Opfer von Stalinismus und Nationalsozialismus bezeichnet wird. Der Gedenktag memorialisiert das historische Datum des sogenannten Hitler-Stalin-Pakts, der am 23. August 1939 geschlossen wurde, für eine europäische Gedenkkultur. Er war dabei schon vor seiner Einführung umstritten. So wurde unter anderem prominent kritisiert, dass er eine narrative Verbindung – und damit, so der Vorwurf, eine implizite Gleichsetzung – zwischen dem Holocaust und politischen Verbrechen der Sowjetunion schaffe. Andererseits wurde seine Einführung als eine Öffnung der westeuropäisch dominierten EU-Geschichtspolitik für Perspektiven und historische Erfahrungen in mittel- und osteuropäischen Staaten gelobt.
Das Projekt widmet sich den narrativen Strategien hinsichtlich der Bedeutsamkeit des „23. Augusts“ und untersucht die Debatten um den Gedenktag als Beispiel für Erinnerungskonkurrenzen und Konflikte um historische Deutungshoheit der Gewaltgeschichte Europas im 20. Jahrhundert. Einen Schwerpunkt bildet die systematische Erfassung und Kontextualisierung solcher Erzählungen, die in der historisch am unmittelbarsten vom geheimen Zusatzprotokoll des Hitler-Stalin-Pakts betroffenen Region – dem Ostseeraum – bemüht wurden und werden.
Naima Tiné, M.A.
Die Geburt der modernen Welt. Reproduktionsmedizin und Kapitalismus um 1900
Ausgehend von der These, dass die Rationalisierung und Standardisierung der ökonomischen Produktionsweise im 19. und frühen 20. Jahrhundert ihr gesellschaftspolitisches Pendant in der Medikalisierung der biologischen Reproduktionsweise fanden, untersucht das Promotionsprojekt die Entstehung und Entwicklung von Gynäkologie und Geburtshilfe um 1900 sowie Debatten um Reproduktion innerhalb Arbeiter*innenklasse. An der Schnittschnelle von Arbeits-, Körper- und Medizingeschichte angesiedelt, wird Reproduktion als eine spezifische Form der Arbeit begriffen, die im Zuge medizinischer Professionalisierungen um den weiblichen Körper herum neu justiert und organisiert wird. Welchen Einfluss diese Entwicklung konkret auf die Organisation des Kinderkriegens hatte, ist die leitende Frage des Projekts. Inwieweit wurde die Figur der Patientin neu entworfen, inwieweit die des Arztes, und die der Hebamme? Wie veränderte sich der medizinische Blick auf den schwangeren Körper, wie auf den Vorgang der Geburt und dessen konkreten Ablauf, aber auch auf den Ort des Gebärens? Inwieweit lässt sich mit der Verschiebung der Hausgeburt zum Geburtshaus eine Vergeschlechtlichung der Raum(-Aufteilung) beobachten? Welche Rolle spielte Reproduktionsmedizin für Arbeiterinnen und wie wurde sie politisch verhandelt? Aus welcher Machtposition und mithilfe welcher Mittel werden Reproduktionsvorgänge durchgesetzt, beeinflusst und angeeignet aber auch verhindert? Schließlich: Inwieweit repräsentiert die Geburt des Einzelnen die Geburt der modernen Welt an der Schwelle zum 20. Jahrhundert?
Jakub Aleksander Ramelow
Die Militärischen Hinterlassenschaften der Sowjetunion in Polen: Zeugnisse der Unterdrückung oder erhaltenswertes Kulturerbe?
Das Dissertationsprojekt hat es sich zum Ziel gesetzt, die in der heutigen Gesellschaft Polens existierenden Erinnerungs- und Erbekultur bezüglich der dortigen sowjetischen Militärhinterlassenschaften sowohl in ihrer gesellschaftlichen als räumlich-materiellen Dimension anhand exemplarisch ausgewählter Objekte zu untersuchen und miteinander in Beziehung zu setzen. In den Mittelpunkt rückt dabei die Frage, wie das militärische Erbe der Sowjetunion in Polen wahrgenommen und behandelt wird.
Mit Hilfe von vor Ort befragten Zeitzeugen sowie soziologischer und kulturwissenschaftlicher Konzepte, wie etwa der wissenssoziologischen Diskursanalyse und dem Konzept des kollektiven Gedächtnisses, soll die gesellschaftliche Konzeption und Semantisierung dieser Hinterlassenschaften untersucht werden.
Die räumlich-materielle Dimension, welche die heutige Nutzung, den gegenwärtigen physischen Zustand der Objekte sowie derzeit stattfindende als auch bereits abgeschlossene räumliche Veränderungen diesbezüglich beinhaltet, sollen durch die Auswertung von Satellitenaufnahmen sowie von vor Ort getätigten Foto- und Videoaufnahmen erfasst und dokumentiert werden.
Ingo Löppenberg, M.A.
"Im Auftrag Seiner Majestät" - Expeditionen im Kalkül preußischer Wissenschaftspolitik, 1815-1880
Das Dissertationsvorhaben beschäftigt sich mit den wissenschaftlichen Ansprüchen von und der Hebung des Prestiges des Staates durch preußische Forschungsreisen. Ziel ist es sowohl die von den Expeditionen berührten natur- und geisteswissen-schaftliche Fächer einerseits als auch die von ihnen ins Visier genommenen regionalen, nationalen und transnationalen Räume andererseits, zu erfassen. Anhand umfangreicher archivalischer Quellen, soll dadurch insgesamt ein breites Panorama der Forschungsexpeditionen entstehen und ihre Bedeutung als Schlüsselinnovation innerhalb der Forschungstechniken, die Wissen produzieren, für das 19. Jahrhundert herausgearbeitet werden. Daneben bildet die Untersuchung des Verhältnisses von Wissenschaft und Staat einen zweiten Fokus der Studie. Anhand der Finanzierungsfrage sollen die endogenen und exogenen Faktoren der Wissenschaftsförderung aufgezeigt werden.
Jan Mittenzwei
Zwischen Region und Regime. Die NSDAP in Pommern, 1922-1945
Die Arbeit geht von der Annahme aus, dass der politische Erfolg der NSDAP während der Weimarer Republik bereits wesentlich in der regionalisierten Arbeitsweise der Parteigaue begründet war und anschließend organisatorisch in die Regimephase übernommen wurde. Die Fortsetzung der regionalen Organisationsstruktur der „Kampfzeit“ wurde nach 1933 zu einem entscheidenden Instrument für die Transformation und fortschreitende Radikalisierung des NS-Staates. Von wesentlicher Bedeutung für diese Arbeitsweise waren hierbei verschiedene institutionelle Kommunikations- und Koordinationsforen, in deren Zentrum die Gauleiter-Tagungen standen. Dort wurden die grundsätzlichen Entscheidungen der NS-Führung nachverhandelt und in regionale Politik übersetzt. Das vorliegende Projekt geht somit davon aus, dass die NS-Gaue mehr als nur Befehlsempfänger zentraler Behörden waren und fragt, in welchem Umfang die regionalen Parteiinstanzen eigene – politisch-administrativ abgesicherte - Spielräume für individuelle Entscheidungen besaßen. Untersucht wird, welche staatlichen Kompetenzen sich die pommersche NSDAP – vertreten durch Gauleiter, Gau- und Kreisleitung – in der inneren Verwaltung sowie in den Bereichen der Gesundheitsfürsorge und Volkswohlfahrt, Bildung und Wissenschaft, Wirtschaft und Justiz aneignen konnte. Darüber hinaus wird die Beteiligung und Initiative der pommerschen NSDAP bei den nationalsozialistischen Großverbrechen, insbesondere in Hinblick auf die Morde an den psychisch Kranken und geistig Behinderten in der Provinz sowie bei der Deportation und Ermordung der pommerschen Juden analysiert. Schließlich wird erörtert, inwiefern wir in Bezug auf den Gau Pommern von einer neuen NS-spezifischen Staatlichkeit sprechen können.