
Jonas Wolf, M.A.
Lehrstuhl für Allgemeine Geschichte der Neuesten Zeit
Raum 2.13
Domstraße 9a
17487 Greifswald
Mit der Gründung des Weimarer Sozialstaats im November 1918 wurden erstmals soziale Grundrechte in der Verfassung verankert. Zudem wurde das System der Sozialversicherungen, aber auch die öffentliche Fürsorge und politische Mitbestimmungsrechte erheblich ausgeweitet. In dieser sozialpolitischen Aufbruchstimmung entwickelte sich die Wiederherstellung der Arbeitskraft zu einer sozialmedizinischen Leitidee, der die Psychiatrie mit der systematischen Ausweitung der Arbeitstherapie nachzukommen versuchte. Arbeit wurde in Folge dessen nicht mehr nur als Tätigkeit zur Einkommenserzielung begriffen, sondern auch als therapeutisches Mittel entworfen, um Menschen mit psychischen oder physischen Beeinträchtigungen an die arbeitsweltlichen Grundanforderungen heranzuführen. Das vorgeschlagene Projekt setzt hier an. Es möchte am Beispiel der 1912 eröffneten Pommerschen Provinzial-Heilanstalt in Stralsund das Ineinandergreifen von ökonomischen und (sozial-)politischen Gegebenheiten, therapeutischen Zielsetzungen und kulturellen Deutungsmustern von Arbeitsfähigkeit und der Unfähigkeit zu Arbeiten über den Systemwechsel 1933 hinweg untersuchen. Dabei fragt es, welche sozialstaatlichen und sozialmedizinischen Konzepte von Arbeit diese Entwicklung lancierten und welche Leistungsparameter dabei für wen entwickelt wurden. Welche konkreten therapeutischen Maßnahmen zur Wiederherstellung von Arbeitskraft stellten Sozialingenieure in diesem Zusammenhang bereit? Welche praktischen Konsequenzen hatte das für die Betroffenen und inwieweit wurden hier geschlechts- und klassenspezifische Unterschiede gemacht? Schließlich: Inwieweit und mit welchen Begründungen mutierte die Unfähigkeit zu Arbeiten von einem sozialmedizinischen Interventionskriterium in der Weimarer Republik zu einem Selektionskriterium im Nationalsozialismus?