Hamburg und Frankfurt vor dem Reichskammergericht
Zwei Handelszentren im Vergleich
Das Ziel des Projekts war es, Hamburg und Frankfurt in verschiedenen allgemeinen Fragen und besonders in Handelssachen anhand der überlieferten Prozesse vor dem Reichskammergericht unter Zuhilfenahme statistischer Methoden und der inhaltlichen Analyse der Prozessakten zu vergleichen. Dabei wurden weitgehende Gemeinsamkeiten Hamburgs und Frankfurts bei der Akzeptanz des Reichskammergerichts, den Prozesslängen und dem sozialen Status der Kläger festgestellt, während sichtbare Unterschiede bei den Prozessgegenständen und der geographischen Entfernung der Prozessparteien zu Tage traten, die mit der differierenden Lage beider Städte (Hamburg als Hafenstadt, Frankfurt als Messestadt mit einem größeren Einzugsgebiet) erklärt werden konnten.
Die meisten Prozesse sowohl in Hamburg als auch in Frankfurt konnten den Kategorien Geldwirtschaft, Handel und Gewerbe sowie Familienverband zugeordnet werden, wobei sich auch die letztgenannte Kategorie häufig mit Geld- oder Gewerbefragen im Zuge von Familienverträgen und Erbschaftsregelungen beschäftigte. Die umfangreiche Kategorie Geldwirtschaft faßte vor allem Prozesse um allgemeine Schuldforderungen aus Schuldscheinen, Wechseln (in Frankfurt besonders während der Messe) und Darlehen, aber auch aus der Nichteinhaltung von Bürgschaften zusammen, während die Handel- und Gewerbesachen Prozesse um Fragen der Handels- und Gewerbefreiheit, das Zunftwesen und die Forderungen von Handelsgesellschaften und deren Sicherung bündelten. In diesem Zusammenhang konnten weitere Unterschiede zwischen Hamburg und Frankfurt deutlich gemacht werden: Während nur in Hamburg, bedingt durch die Lage an der See, Fragen der Versicherung von Schiffsladungen in Prozessen behandelt werden müssen, fällt in Frankfurt besonders im 18. Jahrhundert eine „laissez faire“-Haltung der Stadt gegenüber den traditionellen Rechten der Zünfte auf (bedingt durch eine gegen die Protektion von Zünften gerichtete städtische Politik), die eine Reihe von Prozessen nach sich zieht, in welchen die Stadt oftmals als Nebenbeklagter geführt wird.
Fest steht, dass mit dem Reichskammergericht eine Institution zur Verfügung stand, die von Kaufleuten beider Vergleichsstädte zur Verfolgung ihrer Interessen genutzt wurde und die durch das Bereitstellen einer Appellationsinstanz, über die städtischen Gerichte hinaus, für Rechtssicherheit im Handelsverkehr sorgte – obwohl dem Reichskammergericht die Mittel zur direkten Durchsetzung seiner Anordnungen und Urteile fehlten und deshalb die Heimatstädte der im Prozess unterlegen Partei gelegentlich um Mithilfe bei der Vollstreckung gebeten werden mußten.
Das Projekte wurde unter der Leitung von Prof. Dr. Michael North von dem Projektmitarbeiter Robert Riemer, M.A. von Juli 2002 bis Juni 2004 durchgeführt.